Im ŠKODA-Werk in Mladá Boleslav findet der finale Qualitätscheck statt, bevor der ENYAQ seine Bahnreise nach Bremerhaven antritt.
Wenn ein Neuwagen das Werk verlässt, dann beginnt der lange Weg zum Kunden. Im Zeitalter des Klimawandels kommt es darauf an, auch beim Transport den CO2-Fußabdruck kleinzuhalten. Der Weg eines ŠKODA ENYAQ von der Fabrik im tschechischen Mladá Boleslav über das BLG RailTec-Rangierzentrum Falkenberg bis zum BLG AutoTerminal Bremerhaven zeigt: Die Zukunft der nachhaltigen Pkw-Logistik gehört der Schiene.
Ein finaler Check zeigt: Alles in Ordnung, der fabrikneue ŠKODA ENYAQ in Moon-Weiß ist bereit, sich vom Werk im tschechischen Mladá Boleslav auf den Weg zum Kunden zu machen. Nur, wie kommen die Autos eigentlich zu den künftigen Eigentümern?
Im ŠKODA-Werk in Mladá Boleslav findet der finale Qualitätscheck statt, bevor der ENYAQ seine Bahnreise nach Bremerhaven antritt.
In diesem Fall liegt das finale Ziel in Übersee, weshalb das Fahrzeug zunächst einmal zum Autoterminal der BLG-Gruppe nach Bremerhaven transportiert werden muss, 620 Kilometer vom ŠKODA-Werk entfernt. Rund 1,7 Millionen Fahrzeuge werden in Bremerhaven pro Jahr abgewickelt, der Seehafenterminal zählt zu den größten Automobildrehscheiben der Welt. Als vollelektrisches Fahrzeug steht der ŠKODA ENYAQ für klimafreundliche Mobilität. Entsprechend wichtig ist es dem Automobilhersteller aus dem Volkswagen Konzern, dass auch die Logistik CO2 einspart.
David Strnad, Leiter der Markenlogistik bei ŠKODA AUTO, sagt: „ŠKODA AUTO hat sich im Rahmen seiner Nachhaltigkeits- und Green-Future-Strategie ehrgeizige Ziele gesetzt, die durch eine schrittweise Ausweitung der mit Grünem Strom betriebenen Schienentransporte sowohl im INBOUND- als auch im OUTBOUND-Bereich erreicht werden sollen. Im Bereich OUTBOUND, der für den Transport der ENYAQs zuständig ist, kommt in mittlerweile 58 Prozent aller Fälle die Bahn zum Einsatz. Damit ist das Ende für ŠKODA AUTO jedoch noch nicht erreicht; das strategische Ziel ist es vielmehr, den Prozentsatz zu erhöhen.“
Einen nachhaltigen Wagen auf einem Diesel-Lkw Hunderte Kilometer weit auf der Straße zu transportieren? „Das geht besser“, sagt Thomas Bamberg. „Nämlich emissionsfrei auf der Schiene.“ Pro Zug kann die BLG AutoRail mehr als 200 Pkw transportieren. Und das passiert im deutschen und österreichischen Streckennetz komplett mit Grünem Strom.
Thomas Bamberg ist Geschäftsführer der Beteiligung BLG AutoRail GmbH. Er ist ein Eisenbahner durch und durch, bei der Deutschen Bahn war er als Werkleiter für die Instandhaltung von Lokomotiven und Güterwagen zuständig, später wechselte er in die Schienenlogistik, seit 2013 bringt er seine Expertise bei der BLG AutoRail ein. Sein Anspruch: eine Autologistik zu garantieren, die Effizienz und Nachhaltigkeit zusammenbringt. „Knifflig, aber möglich“, sagt Thomas Bamberg. Wobei gerade das Kniffelige dem Logistiker Spaß bereite. „Eine gewisse Freude an der Herausforderung hilft in diesem Beruf ungemein.“
„Moderne, schlanke und verlässliche Prozesse sind die strategische Ausrichtung für die Nutzung des Schienenverkehrs.“
David Strnad, Leiter Markenlogistik bei ŠKODA AUTO
Noch einmal zurück nach Mladá Boleslav, dort steht für den ŠKODA ENYAQ in Moon-Weiß ein Autozug bereit. Weitere hundert Neuwagen sind ebenfalls transportfertig, einige von ihnen müssen auch nach Bremerhaven, einige haben andere Ziele in ganz Europa. Für ŠKODA stellt sich an dieser Stelle die logistische Frage: Wie kann es gelingen, die Autos so zu sortieren, dass sie ohne Umweg ihr jeweiliges Ziel erreichen? Für jeden Ort einen eigenen Zug bereithalten und warten, bis genügend Autos zusammengekommen sind? Das wäre für den Hersteller unglaublich platzraubend, teuer und ineffizient. „Hier kommen wir ins Spiel“, sagt Thomas Bamberg. „Unser Angebot an Partner wie ŠKODA: Ihr braucht nur eine Waggonbeladung nach Zielorten, die Zugbildung übernehmen wir.“
David Strnad, Leiter der Markenlogistik bei ŠKODA AUTO, ergänzt: „Zukünftig plant ŠKODA AUTO auch mit einer erhöhten Verladungskapazität der Züge für die produzierten Fahrzeuge, und zwar sowohl am Produktionsstandort in Mladá Boleslav als auch im Werk Kvasiny. Moderne, schlanke und verlässliche Prozesse sind die strategische Ausrichtung für die Nutzung des Schienenverkehrs.“
Der ŠKODA ENYAQ wird also auf einen Waggon mit Ziel Bremerhaven verladen. Dieser wird gekoppelt mit Waggons, die später andere Orte ansteuern. Dann macht sich dieser bunt gemischte Verbund auf den Weg nach Nordwesten, 200 Kilometer weit, bis ins brandenburgische Falkenberg. Leidenschaftliche Eisenbahner kennen diesen Ort auf halber Strecke zwischen Leipzig und Cottbus. Schon im 19. Jahrhundert war er ein wichtiger Knotenpunkt, zu DDR-Zeiten besaß der Rangierbahnhof eine große Bedeutung für den Gütertransport. Das Eisenbahnmuseum Falkenberg erinnert an diese Zeiten. Als die Deutsche Bahn den Standort 1994 stilllegte, sah es so aus, als verschwinde Falkenberg von der Bahn-Landschaft. „Doch dann kamen wir“, sagt Thomas Bamberg.
2011 gründete die BLG AutoRail die Tochterfirma BLG RailTec. Ihre Aufgabe: Falkenberg aus dem Dornröschenschlaf zu holen. Und zwar wortwörtlich, denn die alten Gleise waren überwuchert, die Weichen marode, entlang der alten Strecke wuchsen dornige Büsche. Immerhin: Die Schienen lagen noch, und die Lage Falkenbergs im Herzen Europas war nach wie vor ideal. Also investierte die BLG RailTec in den Aufbau einer Logistikdrehscheibe für den Güterverkehr. Zehn Jahre ist das her. Was als Projekt von wenigen Mitarbeitenden begann, funktioniert heute als Rangierbahnhof, durch den pro Jahr mehr als 300.000 Neuwagen laufen. „Es ist uns in diesen zehn Jahren gelungen, dem vergessenen Eisenbahnort Falkenberg ganz neues Leben einzuhauchen“, sagt Thomas Bamberg, der auch die Geschäfte der BLG RailTec führt. Dass das Logistikzentrum in der Region heute einer der beliebtesten Arbeitgeber ist, erfülle ihn mit Stolz: „Dieser Erfolg hat nicht nur wirtschaftliche und nachhaltige Dimensionen, sondern ist auch sozial ein Gewinn.“
Erreicht der Autozug aus Mladá Boleslav den Logistik- Hub Falkenberg, werden die Waggons so sortiert, dass am Ende des Vorgangs jeder in einem Verbund mit nur noch einem Zielort steht. Das funktioniert, weil neben dem Zug aus Mladá Boleslav auch Züge aus anderen Werken Station in Falkenberg machen. Wobei die Stehzeiten möglichst gering sind, schließlich tickt in der Logistik immer die Uhr. „Was aber nicht heißt, dass Planung und Ausführung immer leicht sind“, ergänzt Thomas Bamberg. Wie der Personenverkehr ist auch der Gütertransport von der Qualität des Schienennetzes abhängig, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch auf den Strecken in Tschechien oder Polen. Verspätete Züge sind nicht nur ärgerlich, sondern wirbeln die Pläne durcheinander, weil die Sortierung in Falkenberg ins Stocken gerät. „Es empfiehlt sich, einen ruhigen Kopf zu bewahren, gerade dann, wenn Plan B oder C gefragt ist“, sagt Oliver Fabian, Prokurist bei der BLG AutoRail und für den Vertrieb verantwortlich, kurz: Er berät die Automobilhersteller über die Logistiklösungen des Unternehmens.
Um die Logistik zu stemmen, nutzt das Unternehmen rund 1.500 eigene Waggons. Jeder von ihnen macht mehrmals im Jahr Station im Rangierbahnhof in Falkenberg. Da liegt es auf der Hand, diese Zeit zu nutzen, um die Waggons zu warten und zu reparieren. Dies geschieht seit 2014 in einer neuen Werkstatthalle; mittlerweile kommt jeder zweite Waggon, der hier instandgesetzt wird, von einem Drittkunden. „In wenigen Jahren hat sich die Werkstatt zu einer unverzichtbaren Business Unit entwickelt“, freut sich Geschäftsführer Thomas Bamberg. Auch mobile Reparaturteams sind unterwegs, um auf der Strecke auszuhelfen.
Die Halle ist auch der Ort, an dem das Unternehmen Innovationen vorantreibt. „Diese brauchen wir, denn die Elektromobilität stellt neue Ansprüche an die Logistik“, erklärt Thomas Bamberg. Ein vollelektrischer SUV wie der ŠKODA ENYAQ sei zum Beispiel deutlich schwerer als ein Verbrenner, zudem verlange der Transport der sensiblen Batterien nach einer angemessenen Transportsicherung. Um der wachsenden Vielfalt der Wagengrößen gerecht zu werden, setzt das Team Waggons mit flexiblen Ladeebenen ein. Für die größer werdenden Fahrzeuge wurde ein Doppelstockwaggon entwickelt, für den Tunnelverkehre in Europa kein Hindernis darstellen.
Ein weiterer Schritt in die Zukunft der Zuglogistik ist bereits in Vorbereitung: Zusammen mit Forschern von der TU Berlin entwickelt die BLG RailTec Konzepte für Digitale Automatische Kupplungen, kurz DAK. Das Neue daran: Das System verbindet die Güterwagen automatisch und leitet die relevanten Daten an die Lok weiter. Das spart Zeit und ermöglicht - auch dank neuer Bremssysteme - Züge mit mehr als einem Kilometer Länge. „Wir arbeiten daran, die Autologistik auf der Schiene smarter, effizienter und damit noch nachhaltiger zu machen“, sagt Thomas Bamberg. Güterzüge als altes Eisen? „Das Gegenteil ist richtig, ihnen gehört die klimafreundliche Zukunft.“
„Wir arbeiten daran, die Autologistik auf der Schiene smarter, effizienter und damit noch nachhaltiger zu machen.“
Thomas Bamberg, Geschäftsführer BLG AutoRail
Ist die Rangierarbeit in Falkenberg abgeschlossen, erhält jeder Verbund eine Lokomotive - und weiter geht die Reise an insgesamt 13 Zielorte. Für den ŠKODA ENYAQ beginnt die zweite Etappe.
Nach einigen Stunden erreicht der Autozug den BLG Auto-Terminal Bremerhaven, wo das Fahrzeug auf die Überseefahrt vorbereitet wird. Zwei bis drei Tage dauert dieses logistische Kunststück. Ein spielerisch leichtes Unterfangen? Da muss Oliver Fabian lachen. „Wenn der Kunde am Ende den Eindruck hat, es sei alles reibungslos verlaufen, dann haben wir einen guten Job gemacht“, sagt der Vertriebsleiter.
Links: Nach 620 Kilometern per Zug ist der ŠKODA ENYAQ in Bremerhaven angekommen.