Reporting 2020

Kann KI
Klimaschutz?

Wie können Daten dabei helfen, das Klima zu schützen – und welche grünen Chancen bieten neue Technologien? Wir sprechen mit Simone Kaiser, stellvertretende Leiterin des Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, über Künstliche Intelligenz und den nur vermeintlichen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie.

Interview mit Simone Kaiser

Frau Kaiser, wie lassen sich KI-Projekte für Nachhaltigkeit nutzbar machen?

Künstliche Intelligenz hat große Potenziale für den Klima- und Umweltschutz und kann ein wichtiges Instrument sein zum Erreichen unserer Nachhaltigkeitsziele. Die Chance liegt darin, dass KI aus großen Datenmengen schnell komplexe Zusammenhänge identifizieren und dabei lernen kann. Das hat drei Vorteile: Man kann Prognosen komplexer und zu - gleich genauer machen, man kann Prozesse auf Nachhaltigkeitsindikatoren hin optimieren und man kann automatisierte Entscheidungen ermöglichen. Profitieren können wir davon zum Beispiel in der Mobilität, etwa über die Berechnung der klimafreundlichsten Route. KI kann auch helfen, Staus zu vermeiden oder Menschen und Güter in Fahrzeugen zu poolen.

Und worin bestehen die Hürden von KI im Nachhaltigkeitskontext?

KI ist zunächst ein neutrales technologisches Werkzeug – ob sie klimafreundlich ist oder im Gegenteil sogar umweltschädliche Entwicklungen fördern kann, ist ihr nicht eingeschrieben. Die Aufgabe besteht für Forscher:innen, Entwickler:innen und Anwender:innen darin, die KI so zu nutzen, dass ihre Umwelt- und Klimaschutzwirkung maximiert wird. Es gibt auch konkrete Risiken, die beachtet werden müssen: Die Rechenzentren brauchen viel Energie, ebenso das Training der Algorithmen. Auch muss die Hardware fortlaufend angepasst werden, wobei die Zyklen immer kürzer werden – wir kennen das alle von unseren Smartphones. Das hat natürlich einen Umwelteffekt. Es gibt auch die Einschätzung, dass Digitalisierung noch nicht systematisch für Natur- oder Klimaschutz genutzt wird, sondern eher für konventionelles Wachstum. Darin liegt natürlich auch eine Aufforderung an uns alle.

„Künstliche Intelligenz hat große Potenziale für den Klima- und Umweltschutz und kann ein wichtiges Instrument sein zum Erreichen unserer Nachhaltigkeitsziele.“

Simone Kaiser, stellvertretende Leiterin des Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) des Fraunhofer IAO

Es wäre also sinnvoll, KI-Projekte von vornherein auch unter Nachhaltigkeitsaspekten zu betrachten?

Unbedingt. Aus meiner Sicht stehen ökonomischer und ökologischer Nutzen hier nicht im Widerspruch. Der Klimawandel ist auch eine große ökonomische Gefahr. Der Markt honoriert zunehmend nachhaltige Geschäftsmodelle, entsprechend ist viel wirtschaftliches Potenzial zu heben. Wir können das eine nicht mehr ohne das andere denken.

Das beinhaltet den Anspruch, interdisziplinär zu arbeiten – also Menschen mit Nachhaltigkeitsexpertise und solche mit KI-Expertise zusammenzubringen. Wie gelingt das?

Das ist einer unserer Forschungsschwerpunkte und sehr wichtig, um nachhaltigkeitsorientierte KI-Projekte in die Praxis zu bringen. Noch werden beide Perspektiven nicht allzu häufig zusammengeführt. Nachhaltigkeitsakteure nutzen noch vergleichsweise selten KI und umgekehrt wissen viele Entwickler:innen und Start-ups nicht, wo ihre KI auf ökologische Herausforderungen einzahlen würde. Einem Tech-Experten oder einer Tech-Expertin etwa, der oder die eine KI zur Bilderkennung entwickelt, ist nicht unbedingt bewusst, dass man sie nutzen könnte, um auf Satellitenbildern illegale Rodungen in Regenwäldern zu erkennen. Es gilt, Netzwerke und Plattformen zu schaffen, die Kooperation ermöglichen und das Wissen über und Verständnis für das Feld des anderen schärfen. Denn ich bin überzeugt, dass Innovation Perspektivenvielfalt braucht. Diese Vielfalt lässt sich über moderierte Prozesse zusammenführen und verbinden, so dass jeder von der Expertise des anderen profitiert und gemeinsame Lösungen entstehen können.

Was ist mit den ethischen Fragen – wie geht man zum Beispiel damit um, dass KI bestimmte Tätigkeiten obsolet machen kann?

Es ist vor allem wichtig, diese Diskussion nicht nur in Expertenkreisen zu führen. Auch Unternehmen sollten offen mit der Sorge von Beschäftigten umgehen, dass sie ihren Job verlieren könnten oder er sich so stark verändert, dass es nicht mehr der Job ist, den sie heute machen. Wir entwickeln dazu Zukunftsbilder: Wie könnte die Branche in zehn Jahren aussehen und wie könnten neue Technologien dann genutzt werden? Die Menschen laden wir ein, ihre Wünsche an diese Zukunft zu formulieren – das öffnet neue Gestaltungsräume. So nimmt man die Mitarbeiter:innen mit auf einen Weg, von dem noch nicht klar ist, wo genau er letztlich hinführen wird. Das erfordert von allen Mut, bietet aber gleichzeitig große Chancen.