Reporting 2020

Nach Maß

Hochkomplex und vollautomatisiert: Der neue Logistik-Hub, den BLG LOGISTICS in Schlüchtern für Engelbert Strauss betreibt, bedient die hohen Ansprüche des Spezialisten für Arbeitskleidung. Worauf es neben Hightech vor allem ankommt: auf ein Team, das sich motiviert und konzentriert der Herausforderung stellt, Logistik auf ein neues Level zu heben.

Logistik nach Maß

Alles beginnt mit den Klicks, mit denen die Kund:innen von Engelbert Strauss ihre Bestellungen abschließen.

Unternehmen ordern neue Arbeitskleidung für ihre Belegschaft. Familien statten sich mit robuster Freizeitkleidung aus. Sobald die Bestellungen ausgelöst wurden, starten in Schlüchtern die Prozesse. Nach wenigen Augenblicken tauchen die Aufträge im System auf. Geschieht dies bis zum frühen Nachmittag, geht die Ware in der Regel noch am selben Tag raus. Das ist nur möglich, wenn die Logistik vom ersten bis zum letzten Schritt reibungslos funktioniert. Lothar Glöckner bereitet dieser hohe Anspruch keine Sorgen: „Das zu gewährleisten, ist unser Job.“

Schlüchtern statt Mumbai

Der 64-Jährige ist einer von zwei Standortleitern – und ein erfahrener Logistiker. Glöckner arbeitete in London in der Luftfracht-Logistik, war in Krisengebieten tätig, um unter schwierigen Bedingungen funktionierende Lieferketten aufzubauen. Bei BLG LOGISTICS übernahm er eine Leitungsfunktion am Standort Wackersdorf. Eigentlich sollte es seine letzte berufliche Station sein. „Die Idee stand im Raum, dass ich 2020 meinen Ruhestand antrete und nach Indien gehe, um dort karitativ zu arbeiten.“ Als dann das Angebot der BLG kam, den neuen Standort in Schlüchtern mit aufzubauen, zögerte er nicht lange. „Ich habe meine Zusage nicht bereut. Was wir hier als Team auf die Beine stellen, ist bahnbrechend.“

Preisgekrönte Partnerschaft

BLG und Engelbert Strauss kooperieren bereits seit 2012. Wie gut die Partnerschaft funktioniert, zeigte sich unter anderem 2015, da gewann man im Team den Deutschen Logistik-Preis. Weil Engelbert Strauss auch in Zukunft eine solide Entwicklung anstrebt und die Ansprüche an die Logistik im Online-Handel steigen, fiel der Entschluss für die Investition in den neuen Hub. Maßgeschneidert für die Bedürfnisse des Ausrüsters für Arbeitskleidung, die immer häufiger auch in der Freizeit getragen wird. Schlüchtern ist da für ein idealer Standort: direkt an der A66, zwischen Fulda und Frankfurt, in unmittelbarer Nähe zum Stammsitz in Biebergemünd. Im Januar 2020 war der Bau fertig, stand die Technik. Die ersten Pakete verließen den Standort Anfang Mai. Was dazwischen passiert ist? „Man kann sich kaum vorstellen, wie komplex es ist, einen solchen Betrieb vorzubereiten“, sagt Lothar Glöckner. Er nennt ein paar Zahlen. In dem riesigen Gebäude lagern 35.000 Artikel aus dem Sortiment von Engelbert Strauss, auf einer Million Lagerplätzen, Tendenz steigend. 400 autonom fahrende Shuttles sind unterwegs, um die Waren zu picken. Die Förderbänder haben eine Gesamtlänge von 13 Kilometern. Würde man sie vom Logistik-Hub aus auf der A66 ausrollen, käme man bis in die ersten Vororte von Fulda. Das System läuft nicht nur effizient, sondern auch nachhaltig. Wo es nur geht, wird auf Plastik verzichtet. Was noch an Folien anfällt, wird gesammelt und recycelt. Die effiziente Technologie von Blockheizkraftwerken und Photovoltaikanlagen erzeugt Strom und Wärme, größtenteils ist damit die Eigenversorgung des Standorts gesichert.

Die Pakete werden zu den Mitarbeitenden transportiert. Bis zu 30.000 Pakete werden pro Tag versendet.

Pro Sekunde ein Paket

Aktuell gehen 3.000 Pakete pro Stunde vom Band, ab Herbst 2021 werden es 4.000 sein. Das ist dann mehr als ein Paket pro Sekunde. Wohlgemerkt: Kaum eine Bestellung gleicht der anderen. Bei jedem Auftrag muss das System prüfen: Was wurde bestellt, welche Kartonage wird benötigt, welche Besonderheiten gibt es? „Die ersten Schritte passieren vollautomatisch“, erklärt Lothar Glöckner. Die mit Künstlicher Intelligenz ausgerüsteten Shuttles übernehmen den Transport im Kommissionierbereich, die Förderbänder die Transporte zwischen den Ebenen. Dann kommen die Mitarbeitenden ins Spiel: An gegenwärtig 21 Ware-zu-Mensch-Arbeitsplätzen werden die bestellten Pakete zusammengestellt. „Hier ist Konzentration gefragt“, so der Standortleiter, „dieser Job ist alles andere als trivial.“ Würde im Prozess ein Fehler passieren, käme von den Käufer:innen sofort eine entsprechende Rückmeldung. „Wir sind stolz darauf, dass bislang sehr wenige Reklamationen dieser Art eingegangen sind“, fügt er hinzu.

Auch wenn alles korrekt verschickt wurde, kommen natürlich Retouren. 200 Mitarbeitende kümmern sich um die Pakete, die von den Endkund:innen zurückgeschickt werden. Weil die Hose zu eng oder das Orange zu kräftig ist. Manchmal aber auch, weil die Bestellenden Jacken in zwei Größen ordern und die nicht passende Größe zurückschicken. „In der Retoure ist eine Vollautomatisierung nicht möglich“, sagt Lothar Glöckner. „Hier kommt es darauf an, sich jedes Paket einzeln vorzunehmen, um zu bewerten, welche Schritte folgen.“ An dieser Stelle ist erkenn bar: Auch Hightech-Logistik kommt nicht ohne Menschen aus, die ihrer Arbeit konzentriert und motiviert nachgehen.

Ein Team, zwei Dutzend Nationen

Diversität spielt bei der BLG eine wichtige Rolle. Die Belegschaft besteht aus 24 Nationalitäten. Die Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Center für Arbeit im Main-Kinzig-Kreis half, auch 17 Langzeitarbeitslose nach Schlüchtern zu vermitteln, diese sind jetzt fest im Team. „Als Arbeitgeber profitieren wir von unserem guten Ruf und den exzellenten Arbeitsbedingungen“, erklärt Lothar Glöckner. Er habe schon einige Betriebe von innen gesehen, aber dieser hier sei besonders: „Man fühlt sich hier einfach wohl. Es gibt eine eigene Bäckerei und eine hervorragende Kantine, die sogar einen Preis als bestes Betriebsrestaurant gewonnen hat.“ Aus der vielfältigen Belegschaft mit Menschen aus so vielen unterschiedlichen Kulturen sei ein echtes Team entstanden.

Firoz Mohammadi war im Januar 2020 der erste Mitarbeitende, der hier seine Arbeit aufgenommen hat. Der 29-Jährige packte an, als die ersten Wareneingänge gebucht wurden. Er stand mit einem Kollegen am Band, als das System die ersten Testpakete zusammenstellte. „Wir waren sehr neugierig, ob alles tatsächlich funktioniert“, erinnert er sich. Firoz Mohammadi flüchtete 2015 aus Afghanistan nach Deutschland, längst fühlt er sich als Teil des BLG-Teams. Tätig ist er in der Warenannahme, wo die Lieferungen von Engelbert Strauss umverpackt und auf die sechs Ebenen des Logistik-Hubs verteilt werden. „Es ist eine abwechslungsreiche Arbeit“, betont er.

„Der Standort ist für uns alle noch neu, da ist es ganz normal, dass wir uns gegenseitig unterstützen.“ Den Feierabend verbringt Firoz Mohammadi mit seiner Familie. Besonders freut er sich auf die Anrufe bei seinen Eltern, die in Afghanistan leben. „Es ist gar nicht einfach, ihnen zu erklären, in was für einem Betrieb ich arbeite“, sagt er. Geholfen hat, dass er ihnen bei einem Videoanruf einen kurzen Film über den Logistik-Hub zeigen konnte. „Da war ich stolz“, fügt er hinzu. „Und ich glaube, meine Eltern waren es auch.“

Steckbrief
FIROZ MOHAMMADI (29) flüchtete 2015 vor dem Krieg aus Afghanistan. Zusammen mit seiner Frau und seiner damals ein Jahr alten Tochter war er zwei Monate lang unterwegs, bis er über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland nach Deutschland kam. Er absolvierte einen Deutschkurs und nach neun Monaten als Zeitarbeiter erhielt er eine Festanstellung bei der BLG.